Distillery 42

Kai Pohl: 1964 oder Das marktkonforme Schweigen der Seele des männlichen Machtsubjekts (Auszüge)

Dann ging ich an den Fluß, wusch mich und wanderte an den Rand des Parkplatzes. Gleich hinter der Skyline erstreckte sich eine Grünfläche mit riesigen Bäumen, darunter Tische, worauf Knochen und Leichenteile lagen. Ich erwachte und ging zum Feldrand, wo die Spuren begannen, die gefrorene Erde knirschte unter meinen Schritten. Am Morgen schlief ich ein wenig in einem Graben, dann ging ich weiter, nach Norden, durch die Fußgängerzone. Hinter mir zwei Kriminalbeamte. Es war stockdunkel. Ich erreichte die Botschaft, um mit dem Konsul zu sprechen, ging durch eine Drehtür zum Fenster seines Büros, wir rauchten etwas gemeinsam, dann ging ich schlafen. Als ich später aus dem Fenster sah, war alles ruhig, die Polizisten standen herum, die Nacht war kühl und leer. Ich eilte durch die Kontrollen nach Hause, um auf die Bulldozer zu warten. Ich nahm die Teedose vom Regal. Die Pilze darin sahen wie vertrocknete Finger aus. Ich schlich die Treppe hinauf, legte mich hin und schlief bis zum übernächsten Morgen. Dann ging ich in meine Wohnung, packte den Koffer, begab mich zum Flughafen und flog nach Italien. Dort irrte ich zwischen Palästen umher und stand für einen Moment im Treppenhaus meiner Kindheit. Ich setzte mich auf die unteren Stufen, um einen Kaffee zu trinken. Der einzige Lichtschein kam von einer kleinen Lampe. Ich nahm noch einen Schluck Wasser, dann kroch ich in den Schlafsack. Später weckte mich ein heftiges Gewitter. Ich ging über die Treppe zum Ausgang ins Freie, kehrte bald im nassen Trenchcoat zurück, genehmigte mir einen Wodka und ging schlafen. Um sechs Uhr stand ich auf, schnappte meine Sachen und reiste für drei Monate nach Australien. Gleich nach der Ankunft kaufte ich einen Weltempfänger, einen Wasserkocher, eine Zeitung und eine Tasse Kaffee.

(...)

Ein ausgebranntes Gesicht in den Strahlen der untergehenden Sonne. Am Himmel zeichnet sich ein Riß ab, ein ziehender Schmerz, wie wenn einem die Knarre aus der Hand gerissen wird, mit der man sich die letzte Zeit über Wasser gehalten hat. Eisenbahngleise, von Unkraut überwachsen, eine rostige Blechmarke, verschimmelt und verkrustet. Dunkelheit senkt sich über die zerstörten Vororte, beißender Geruch von Unkraut. Wegen Mangel an Treibstoff gibt es keinen Flugverkehr, auf den Straßen fahren nur wenige Autos. Es ist eine typische Vorstadtstraße mit Palmen, Rasenflächen und Bungalows auf der einen und verlassenen Grundstücken auf der anderen Seite, ähnlich wie Palm Beach Florida, zehn Jahre nachdem die Bewohner geflüchtet sind. Hier regiert lange schon die Mafia, nachts ist es am deutlichsten. Inmitten unbewohnbarer Areale lauern verrohte Einwohner hinter geleckten Fassaden, eingesperrt im Chaos zwischen Tankstellen, Brachen und Deponien, Gewerbeansiedlungen, Baumärkten, Lagerhallen, alten Schuppen und stillgelegten Fabriken. Überall Reklame für Dinge, die niemand braucht, die Schrott sind, sobald sie die Produktion verlassen, was den Eindruck noch düsterer macht. »Der Mensch ist geschaffen, um sich unterzuordnen und zu gehorchen«, heißt die Botschaft, die über die Gegend gespannt ist. Sterne schießen quer über den leeren Nachthimmel, aus dem silberne Pfeile wie Hagel herabprasseln. Gepanzerte Mannschaftswagen rasen mit heulenden Sirenen zum nächsten Einsatz.

*

(...) Wenn sich die Menschen nicht erheben, erhebt sich am Ende das Meer, das Gras sprengt die Straßen, Mauern fallen im Wind, die dekorative Rhetorik der Herrscher wird ihnen als brennender Stahl auf die Füße fallen.